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Filme Juli / August 2024

Sobald die Termine feststehen, könnt ihr sie hier finden

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MI 03. Juli 2024
18:00 DF & 20:00 DF
Irdische Verse

von Ali Asgari & Alireza Khatam
Iran 2023, 77 min

 

Irdische Verse

"Und wir wussten, dass die Zeit, eine Geschichte um das Feuer herum zu erzählen, vorbei war. Jetzt ist es an der Zeit, eine Geschichte innerhalb des Feuers zu erzählen." Ali Asgari

Wer die Nachrichten über die großen Filmfestivals verfolgt, hat eine Ahnung davon, dass der Iran ein ganz großes Filmland und das Verfertigen von Filmen im Land selbst eine hochriskante Tätigkeit ist. Wir erinnern uns an die Berlinale 2011: Dort blieb der Stuhl für Jury Mitglied Jafar Panahi leer, der wegen Hausarrest nicht ausreisen durfte. Dieses Jahr konnte der Filmemacher Mohammad Rasoulof nur nach einer abenteuerlichen Flucht nach Cannes kommen und seinen Film "The Seed Of The Sacred Fig" vostellen.
Es ist wohl einzigartig, wie viele iranische Filmemacher quasi im Untergrund des Landes, vorbei an den allsehenden Geheimdiensten und Sittenwächtern Filme drehen. Im Land sind diese nur in konspirativen Privatvorführungen zu sehen. Aber die großen Festivals und Arthouse Kinos der Welt zeigen sie und senden uns die Botschaft, dass es im Iran durchaus eine lebendige Gesellschaft gibt, jenseits der Fesseln des Gottesstaates.
"Irdische Verse" ist an der Oberfläche ein Potpourri von neun heiteren Vignetten über die Ohnmacht und den Kampf einfacher Bürger gegen die Vertreter eines übergriffigen Staats. Wir wissen genug über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über die überfüllten Gefängnisse und öffentlichen Hinrichtungen, über die brutale Zerschlagung der Massenproteste, um die politische Dimension hinter den schwarzhumorigen Episoden zu erkennen. "Doch die eindeutige Zweideutigkeit religiöser »Unterwerfung« dient dem Machterhalt. Das in 77 Minuten deutlich zu machen, ist eine filmische Meisterleistung", schreibt Manfred Riepe in epdFILM. Nicht umsonst verweist der Titel "Irdische Verse" auf die "Satanischen Verse". In ihnen spielt Salman Rushdie mit der Fiktion, dass man nicht wissen könne, ob die heilige Verkündigung nun aus dem Munde Mohammeds oder Satans kommt.
Fazit: Satire, unter dessen Oberfläche die Maschinerie des Gottesstaates offenbar wird.

Regiestatement und Interview mit Ali Asgari und Alireza Khatamie

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Mittwoch, 10. Juli
18:00 DF & 20:15 DF

The Zone of Interest

von Jonathan Glazer
GB/ USA/ Polen 2023, 106 min

 

The Zone of Interest

"The Zone of Interest" von Jonathan Glazer ist wie kein anderer Film in diesem Jahr in der internationalen Filmwelt eingeschlagen. Festivalpreise ohne Ende (52 zählt IMDb, darunter der Oscar für den besten fremdsprachlichen Film und der große Preis von Cannes) und über 800 000 Besucher sind für einen Arthouse Film in Deutschland ganz selten. Dabei handelt es sich um einen Film über den Holocaust, nicht gerade ein Genre für die Massen, von Steven Spielbergs Melodrama "Schindlers Liste" mal abgesehen.
Steht ein Film auf auf der schwindelerregenden Höhe des Sockels "Meisterwerk", treibt das auch die Kritiker an, wenigstens das eine oder ander Haar in der Suppe zu finden. Ein gutes Beispiel ist die lesenswerte Kritik von Andreas Scheiner in der Neue Züricher Zeitung . Er gibt eine differenzierte Einführung in das "Genre" des Holocaust Films, in der er sich auch an "Schindler's List" abarbeitet, aber gleichzeitig die besondere Leistung von Jonathan Glazer herausstellt. Sein "Haar in der Suppe": "Was den «Zone of Interest»-Nazi nun aber heikel macht, ist, dass ihm der eigentliche Hass abgeht." Und etwas weiter im Text: "Aber wie man inzwischen weiss, war Eichmann nicht einfach einer, der freudig im Papierkram aufging. Und Höss genauso wenig: Er war schon in den zwanziger Jahren ein glühender Judenhasser, der gerne selber Hand anlegte."
Wir haben dieses "Haar" nicht gefunden. Im Gegenteil ist für uns "The Zone of Interest" ein geniales Lehrstück, das Hannah Arendts brisante Abhandlung über die "Banalität des Bösen" erfahrbar macht. Zu beobachten, wie die millionenfache Ermordung von Menschen von Rudolf Höss als Meisterleistung von Technik und Logistik einerseits, und seine von moralischen Skrupeln freie Rolle als liebender Gatte und Vater andererseits, dargestellt werden, ist ein erschütterndes Erlebnis.
Nicht vergessen werden sollte auch die Meisterleistung unseres "Stars" Sandra Hüller, als perfekte Hausfrau an der Seite von Höss, die in der Villa neben dem Vernichtungslager Auschwitz ihren Aufstieg ins "Paradies" gefunden hat: Kinder, Garten, Status! ... Und Hausangestellte, Gold, Schmuck und Pelze als "Bonus" obendrein!
Auch das unten verlinkte Interview mit ihr zu den Dreharbeiten ist lesenswert.

Fazit: Auschwitz als Ort des Glücks? Ein zutiefst bewegender Film, der unter die Haut geht!

Interview mit Sandra Hüller über THE ZONE OF INTEREST

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Mittwoch, 17. Juli
18:00 DF & 20:15 DF
Kleine schmutzige Briefe

Wicked Little Letters
von Thea Sharrock
Großbritannien 2023, 100 min

 

Kleine schmutzige Briefe

Die großen Themen unserer Zeit - nehmen wir zum Beispiel Shitstorms - beschäftigen uns, als seien sie ein plötzlich über uns hereingebrochenes Übel. Gut, das Internet mit seinen Trollen gab es vor 100 Jahren noch nicht, aber einen veritablen Shitstorm gab es in der englischen Küstenstadt Littlehampton in den 1920er-Jahren sehr wohl. Er wurde zu einem Kriminalfall, der die ganze Nation in Atem hielt. Ausgegraben hat die Geschichte der kleinen schmutzigen Briefe der britische Autor und Comedian Jonny Sweet ... und ihr wisst ja, wie entscheidend Drehbuchautoren für das Gelingen eines Film sind!
„Ich erinnere mich, wie es mir heiß und kalt den Rücken runterlief, weil ich nach genau dieser Art von Geschichte Ausschau gehalten hatte. Eine Geschichte, die mir die Möglichkeit gab, etwas zu schreiben, das richtig originell und witzig sein, aber auch eine echte Bedeutung haben würde“, sagt Sweet.

Zur "echten Bedeutung" gehört vor allem die akribische Schilderung der Verhältnisse in England nach dem 1. Weltkrieg. Da waren zum einen die verklemmte, durch Religion begründete Moral und das absolute Patriarchat, das Frauen kaum Rechte einräumte; zum anderen ging es nach dem Männer-verschlingenden Krieg nicht ohne das tatkräftige Wirken von Frauen. So begab es sich zu dieser Zeit, dass im nahegelegenen London die Suffragetten auf die Barrikaden gingen, um das allgemeine Wahlrecht für Frauen zu erkämpfen.

Diese Widersprüche der Zeit werden wunderbar verkörpert durch Olivia Colman als selbstgerechte und verklemmte Edith Swan, und Jessie Buckley als ihre lebenslustige und zupackende Nachbarin Rose Gooding. Wie sich aus anfänglicher Nachbarschaftshilfe eine Feindschaft entwickelt, ist einerseits bitter, andererseits aber höchst vergnüglich anzusehen.

Und dann spielt noch eine andere Frau die entscheidende Rolle in dem Kriminalfall, und zwar Gladys Moss, die erste Polizistin in Sussex, gespielt von Anjana Vasan. Sie ist intelligent und hartnäckig noch dazu. Während ihre männlichen Kollegen - mit ihren als Erfahrung getarnten Vorurteilen - natürlich sofort in Rose mit ihrem "liederlichen" Lebenswandel "scharfsinnig" die "Täterin ermitteln", gelingt es Gladys Gerechtigkeitssinn gepaart mit Chuzpe, den Fall zu lösen.

Fazit: Wie die englische Kleinstadtgesellschaft sich desavouiert und die erste Polizistin im Dienste ihrer Majestät für Gerechtigkeit sorgt.

Über die zugrundeliegende Geschichte, die Entstehung des Films und seine Figuren

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Mittwoch, 24. Juli
18:00 DF & 20:30 DF
Zwischen uns das Leben

Hors-saison
von Stéphane Brizé
Frankreich 2023, 115 min

 

Zwischen uns das Leben

Man kennt die Situation: Zufällig begegnet man einem Menschen, den man vor Ewigkeiten mal liebte. Man ist sich fremd und doch nah, aber das Leben hat für beide einen anderen Weg genommen, und so sie sind angekommen in der Mitte des Lebens. Klassentreffen, mal wieder Zuhause oder zufällige Begegnungen gehören zum "Drehbuch" des Lebens. Und auch im Kino sind die Geschichten einer Wiederbegegnung zur Zeit en vogue: PAST LIVES - In einem anderen Leben oder Mit Liebe und Entschlossenheit waren schon im Keller zu sehen. Woody Allens neue köstliche Komödie "Ein Glücksfall" zeigen wir Ende August / Anfang September.

Auch "Zwischen uns das Leben" ist der Film einer überraschenden Wiederbegegnung. Gerade als Mathieu an seiner Karriere als Schauspieler verzweifelt und in ein Wellness Hotel in der Bretagne flieht, begegnet ihm Alice, seine verflossene Liebe wieder. Eine Liebe, die er viele Jahre zuvor in den Sand gesetzt hatte. Es wird eine Reise zurück in eine Zeit, bevor das Leben von Mathieu und Alice "eingegleist" ... und noch reich an Optionen war. Beide kommen sich wieder nahe und wir Zuschauer fragen uns, ob Mathieu vor 16 Jahren aufs falsche Geleis abgebogen ist? Ob Alice ihre Karriere als Pianistin eingeschlagen hätte, statt mit Arzt und Tochter in einem normalen, und doch glücklichen Leben an der Küste zu enden?

Doch es hat keinen Sinn über "was wäre gewesen, wenn" zu brüten. Als Zuschauer fragen wir uns, ob es Sinn macht, all das bisher Erreichte und Erlebte für ein neues Abenteuer mi ungewissem Ausgang in die "Tonne" zu hauen.
Stéphane Brizé schafft es, in "Hors-saison" (Nebensaison ist der Originaltitel), die Geschichte einer vergangenen - und wieder aufgeflammten? - Liebe zu erzählen, als wäre es das "echte Leben". Der Film ist gespickt mit viel Humor, mit aufkeimender Zärtlichkeit, aber auch mit der Verzweiflung eines scheinbar verpassten Lebens.
Stéphane Brizé erkärt uns im Interview das Ende der Geschichte so:
"Ich finde das schön: Zwei Menschen, die sich endlich die Wahrheit sagen. Um zu bleiben, wie sie waren… aber auch um ein bisschen besser zu werden.

Wir saßen gebannt zwei Stunden im Cinema Paris und waren uns gleich einig: Ein echter Kellerfilm!
Fazit: Die zärtliche und humorvolle Geschichte einer vergangenen Liebe

Ein Gespräch mit Stéphane Brizé

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Mittwoch, 31. Juli
18:00 DF & 20:15 DF
GOLDA - Israels eiserne Lady

von Guy Nattiv
USA, GB 2023, 100 min
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GOLDA - Israels eiserne Lady

Wir hatten uns erst mal gedrückt. Als Roswitha jedoch begeistert von Helen Mirrens Verkörperung von Golda Meir erzählte, haben wir uns dann doch reingetraut. GOLDA - Israels eiserne Lady ist kein Kriegsfilm, wie uns der Trailer zunächst vermuten ließ. Wie Gary Oldman als Churchill in "Die dunkelste Stunde", sehen wir Golda Meir aus dem Inneren der Macht heraus auf die ständig neuen Herausforderung des Krieges - innerlich verzweifelt und äußerlich knallhart - reagieren. Der Krieg wird auf Monitoren und durch Funksprüche aus den Gefechtsgebieten eindringlich vermittelt; und alles läuft im Bunker des Kriegskabinetts zusammen.

In einer Welt von Männern bewegt sich eine kaum noch erkennbare Helen Mirren. Sie spielt nicht nur, sie ist gleichsam eine Wiedergeburt von Gold Meir! Das Makeup Department hat einen tollen Job gemacht. Es ist für die Oscar-verwöhnte Schauspielerin ein Glanzpunkt ihrer Karriere geworden.
Es sind drei verschiedene "Gesichter" von Golda, die der Film geschickt verwebt:

    Die harte Ministerpräsidentin, die bei dem arabischen Überraschungsangriff 1973 mit dem uneinigen Haufen von Generälen und Ministern eine Überlebensstrategie entwickeln muss ... Parallelen zu heute sind unübersehbar.
    Die alte krebskranke Frau, die sich stark gibt, während sie immer wieder eine Session Bestrahlung einschiebt. Zum Leidwesen ihres Arztes jedoch selbst bei der Behandlung nicht auf ihre Zigarette verzichten kann. Die gehört, mitsamt dem schwarzem Kaffee, zu den Drogen, die sie durchhalten lassen.
    Dass "das Eiserne" der Lady nur Teil ihrer Mission ist, das Überleben des israelischen Staates zu sichern, wird an der engen Beziehung zu ihrer Assistentin Lou Kaddar sichtbar. Humor scheint auch immer wieder auf in ihrer Beziehung zum damaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger - ein Freund, den sie mit Borscht Suppe in ihrem Zuhause bewirtet. Die Unterstützung durch die Staaten war damals keineswegs selbstverständlich. Nixon war in den Watergate Skandal verwickelt und bangte um das billige Öl aus den arabischen Staaten.

Fazit: Zeitreise in eine nach 50 Jahren noch immer nicht vergangene Zeit.

Interview mit Regisseur Guy Nattiv

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Mittwoch, 14. August
18:00 DF & 20:30 DF
Die Unschuld

Hirokazu Koreeda
Japam 2023, 126 min
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Die Unschuld

Wir lieben die Filme von Hirokazu Koreeda! Er ist einer der bedeutendsten humanistischen Filmregisseure - und ein sensibler Chronist von Familiengeschichten im weitesten Sinne ... und Filme die wir lieben, zeigen wir natürlich im Keller:
2019 war hier Shoplifters zu sehen, über eine Familie, die nicht durch Verwandschaft, sondern durch Zuneigung zusammengehalten wird.
2020 konntet ihr Koreedas Ausflug in ein französisch/amerikanisches Familienchaos, mit Juliette Binoche als egozentrischer Übermutter in La Vérité - leben und lügen lassen erleben.
Und letztes Jahr war Broker - Familie gesucht bei uns im Keller: Ein humorvolles Roadmovie von der Babyklappe bis zum Happy End.

Nun können wir endlich auch Koreedas neuesten Film, Die Unschuld , auf die Kellerleinwand werfen. Es entbehrt nicht der Komik, dass der deutsche Verleih den Originaltitel "Monster" durch sein Gegenteil "Unschuld" ersetzt hat. Doch beide haben ihre Berechtigung: Die Unschuld der zwei Jungen und die Monster, die ihnen begegnen; sind diese Monster die vermeintlich gewalttätigen Lehrer, die überfürsorgliche Mutter oder sind es die bedrohlichen Mitschüler? Renate hat natürlich zudem mal wieder ein, zwei Geister gesehen ...

In jeder der drei erzählten Perspektiven finden wir andere Antworten auf die Frage nach dem Monster. Koreeda verfasste bisher eigentlich immer das Drehbuch zu seinen Filmen. In "Die Unschuld" arbeitete er jetzt mit Yûji Sakamoto, einem seelenverwandten Drehbuchautor, zusammen. Während des Lockdowns haben die beiden gemeinsam intensiv an dem Stoff gearbeitet. Das mag dazu beigetragen haben, dass Koreeda sich noch mal selbst übertroffen hat. Auch beim Film gilt ja die alte Immobilienweisheit: Die drei wichtigsten Faktoren sind Drehbuch, Drehbuch, Drehbuch. Auf jeden Fall könnt ihr euch auf einen spannenden, auch zwischendurch recht witzigen Film freuen, der noch lange nachhallt.
Fazit: Drei Perspektiven auf die Wahrheit -
Eine Coming-of-Age Geschichte der besonderen Art.

„Die geheime Welt ist verschwunden“ - Regisseur Hirokazu Koreeda über Kindheit - Interview in der taz


 

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